"Feinfühliges elterliches Verhalten führt zu sicheren Bindungsbeziehungen und zu einer guten Entwicklung bis ins Erwachsenenalter." Dies erklärte Professorin Dr. Fabienne Becker-Stoll (Direktorin des Münchener Staatsinstituts für Frühpädagogik IFP) in Berlin anlässlich der Verleihung der Jahrespreise 2015 der Stiftung Ravensburger Verlag.
An diesem Abend überreichte Stiftungsvorsitzende Dorothee Hess-Maier den mit 8.000 Euro dotierten Leuchtturm-Preis der Stiftung an Sabine Wüsten und die ehrenamtliche Initiative "Mütter für Mütter" in Neubrandenburg. Ebenfalls verliehen wurde der mit 12.000 Euro versehenen Buchpreis der Stiftung; diesen erhielt die Wiener Schriftstellerin Vea Kaiser für ihren Familienroman "Makarionissi oder die Insel der Seligen".
Foto: © Ingo Heine
Verlässliche Bindung im ersten Lebensjahr aufbauen
In ihrer Laudatio für die Leuchtturm-Preisträgerinnen aus Neubrandenburg widmete sich Professorin Becker-Stoll dem Forschungsthema "Mütterliche Bindungserfahrung und Beziehungsqualität zum eigenen Kind". Sie berichtete von wissenschaftlichen Studienergebnissen, wonach die eigenen Kindheits- und Bindungserfahrungen und die aktuelle Lebenssituation der Mutter ihr Verhalten gegenüber ihrem Kind prägen.
"Die meisten Kinder entwickeln in den ersten neun Lebensmonaten Bindungen gegenüber Personen, die sich dauerhaft um sie kümmern. Längere Trennungen oder gar der Verlust dieser Bindungsfigur führen zu schweren Trauerreaktionen und großem seelischen Leid. Hat das Baby jedoch zu einer Person eine verlässliche Bindung aufgebaut, kann es von dieser aus seine Umwelt erkunden und zu ihr zurückkehren, wenn es in eine Überforderungssituation kommt."
Kindeswohl gleich Mutterwohl
Die Wissenschaftlerin sprach von einem "Kreis der Sicherheit", den feinfühlige Eltern ihrem Baby bieten sollten, wodurch es sich bis ins Erwachsenenalter gut entwickeln könne. "Dem Kind kann es immer nur so gut gehen, wie es der Person gut geht, die es betreut und für das Kind verantwortlich ist." Dies bedeute aber auch, dass Mütter und Väter selbst Unterstützung und emotionale Zuwendung benötigen.
Download zur Laudatio Leuchtturmpreis
Gestresste Kinder als Folge schwacher Frühbindung
Eine "stark geminderte Beziehungskompetenz von Eltern" beklagte Leuchtturm-Preisträgerin Sabine Wüsten, Mit-Initiatorin der Gruppe "Mütter für Mütter" in Neubrandenburg und selbst sechsfache Mutter.
Mit ihren Aktivitäten wie Mütter-Baby-Gruppen, Mütter-Cafés, Workshops, Kursen und individuellen Beratungen, zu denen auch Väter kommen, holen die ehrenamtlich tätigen Frauen, Schwangere und junge Mütter aus der Isolation, mit dem Ziel, ihnen die Aufgabe zu erleichtern, ihre Kinder "feinfühlig" und bindungsorientiert zu gefestigten Persönlichkeiten zu erziehen.
Sabine Wüsten berichtete von Erfolgen und von neuen Mütter-Initiativen, die sich – angeregt durch das Vorbild der "Mütter für Mütter" – in den Nachbarstädten Greifswald und Waren bilden wollen.
Foto: © Ingo Heine
Familienroman beschreibt moderne Odyssee
In seiner Laudatio auf die Buchpreisträgerin Vea Kaiser, junge Wiener Schriftstellerin und Altphilologie-Studentin, nannte Focus-Literaturkritiker Dr. Uwe Wittstock ihren Familienroman eine "moderne Odyssee". Die Autorin habe "mit beeindruckender Ehrlichkeit" gezeigt, dass das Lebenskonzept Familie in Zeiten der Migration von allen Beteiligten ein hohes Maß an Flexibilität verlange, um es trotzdem zu realisieren.
Wittstock bezeichnete die vagabundierenden griechischen Helden des Romans "Makarionissi oder die Insel der Seligen" als "Fluchthelfer ihres eigenen Lebens". Es gehöre zu den großartigen Kunstgriffen Vea Kaisers, die Geschichte vor der Folie der griechischen Mythologie spielen zu lassen.